Nach dem Ergebnis der Volkszählung 2015 sind 43,9 % der gesamten Bevölkerung von knapp 50 Millionen in Süd-Korea religionszugehörig. 19,7 % der Koreanerinnen (9,6 Millionen) sind Protestanten, 15,5 % (7,6 Millionen) Buddhisten, 7,9 % (3,8 Millionen) Katholiken und 0,8 % (360.000) gehören anderen Religionen an. Die Geschichte der protestantischen Kirchen in Korea begann ziemlich spät mit der Ankunft der ersten zwei Missionare aus den USA im Jahr 1885. Trotz der kurzen Geschichte haben die Protestanten innerhalb von 130 Jahren mit ihrem Einsatz in der Ausbildung und der Verkündigung des Evangeliums einen beachtlichen Missionserfolg erzielt.
1. Geschichtlicher Hintergrund
Der Buddhismus kam im 4. Jahrhundert v. Chr. über China nach Korea. Mit seiner Geschichte von über 1.500 Jahren gilt er als die traditionelle Religion in Korea. Die katholische Kirche in Korea entstand ohne direkte Missionsarbeit von ausländischen Glaubensboten. Einige koreanische Wissenschaftler kamen im 18. Jahrhundert mit auf Chinesisch verfassten Büchern über den katholischen Glauben in Berührung. Sie schickten einen der ihren nach Peking. Dieser ließ sich dort taufen und taufte selber, als er zurückkam, seine Kollegen. So entstand 1784 die katholische Glaubensgemeinschaft, überlebte hundert Jahre grausamer Verfolgungen und erblühte dann im Laufe des letzten Jahrhunderts. Abgesehen von diesen drei Religionen gibt es in Korea noch einige traditionelle und neu entstandene Religionen, aber diese drei werden von der koreanischen Gesellschaft ohne weiteres als Hauptreligionen angesehen. Es liegt zwar nahe, nur nach Christen und Buddhisten zu unterscheiden, so dass ein Viertel der koreanischen Bevölkerung als Christen zu bezeichnen wäre. Es ist aber sehr schwer, wenn nicht unmöglich, Protestanten und Katholiken unter dem Oberbegriff „Christen“ zusammenzufassen, weil nicht wenigen Katholiken die Buddhisten sympathischer erscheinen als die getrennten Brüder und Schwestern, und andererseits eine nennenswerte Anzahl von Protestanten die katholische Kirche als häretische Gruppierung betrachten. Das ist der Knackpunkt des Status quo der Ökumene in Korea und dessen Bewältigung gehört zu ihrem Ziel.
Der Grund für diese gespannte Beziehung zueinander findet sich in einer Konkurrenz in der Missionsarbeit. Der erste katholische Missionar kam 1836 aus Frankreich nach Korea. Insgesamt zwölf französische Missionare erlitten bis 1886 den Märtyrertod, aber sie erstellten in diesen Jahren auch ein koreanisches Wörterbuch und publizierten einige kirchliche Bücher auf Koreanisch. Die protestantischen Missionare kamen erst 1885, zumeist aus den USA. Anfangs erhielten sie von den französischen Missionare Informationen über das koreanische Volk und seine Sprache. Aber diese freundschaftliche Beziehung unter den Missionaren dauerte nicht lange. Schon 1889 kam es wegen eines Zeitungsartikels zum ersten Eklat zwischen katholischen und protestantischen Koreanern. Nach einem heftig geführten Briefwechsel zwischen dem katholischen Bischof und einem methodistischen Pastor im Jahre 1894 war das gegenseitige Vertrauen unwiederbringlich zerstört. In der Folgezeit konkurrierten beide Kirchen erbittert miteinander bei der Gewinnung neuer Gläubiger. Einige Koreaner nutzten ihrerseits die ausländischen Missionare aus, um eigene Interessen zu verfolgen, weil diese als Ausländer damals diplomatische Privilegien genossen. 1908 publizierten die Protestanten ein Buch, das von der konfessionellen Kontroverstheologie geprägt sich kritisch mit der katholischen Lehre auseinandersetzte, was die Katholiken mit einem vergleichbaren Buch konterten. Diese unglückliche Entwicklung in Korea war nichts anders als eine Verpflanzung einer konfessionellen Konkurrenz aus der Mitte des 19. Jahrhunderts von den Vereinigten Staaten nach Korea. In den USA führte diese indes zur Entwicklung eines Kirchenbundes.
2. Die Ökumene in der Gegenwart
Der Wechsel von einem von Konkurrenz geprägten Verhältnis hin zu einer Zusammenarbeit im Sinne einer Ökumene beider Konfessionen in Korea kam wie in den meisten Ländern der Welt erst nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil zustande. 1965 statteten die Repräsentanten der Anglikaner und Katholiken sich wechselseitige Besuche ab; seit 1967 wird die Einheitsgebetswoche gemeinsam von dem Nationalrat der Kirchen und der katholischen Bischofskonferenz veranstaltet. 2009 wurden sogar die Themen für die weltweite Einheitsgebetswoche von koreanischen Christen gemeinsam vorbereitet mit dem Schwerpunkt „Frieden auf der in Nord und Süd geteilten koreanischen Halbinsel“. Dazu kamen die Repräsentanten der jeweiligen Kirchen 2002 ein erstes Mal zusammen und beschlossen, der Einheitsbewegung der koreanischen Christen neuen Schwung zu verleihen. Einige Jahre zuvor war bereits eine Gruppe von Theologen für ökumenische Anliegen entstanden, die seitdem ein jährliches ökumenisches Forum in Korea veranstaltet. Initiiert auf der 10. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen im Oktober und November 2013 in Pusan, Süd-Korea, entstand im Mai 2014 die Commission on Faith and Order of Korean Churches, ein gemeinsames ökumenisches Organ von Katholiken und Protestanten in Korea. Diese Kommission bemüht sich um die Verbreitung des ökumenischen Verständnisses unter den Christen, indem sie jährlich einen ökumenischen Kurs von 12 Wochen Dauer anbietet. Außerdem konnte dieses Organ anlässlich des 500-jährigen Reformationsjubiläums Vom Konflikt zur Gemeinschaft ins Koreanische übersetzen und herausgeben, eine Publikation die mit dem Untertitel Gemeinsames lutherisch-katholisches Reformationsgedenken im Jahr 2017 von der Lutherisch/Römisch-katholischen Kommission für die Einheit 2013 herausgegeben worden war.
Diese ökumenische Zusammenarbeit wird jeweils von der ökumenischen Kommission der katholischen Bischofskonferenz und des Nationalrates der Kirchen in Korea getragen, an dem allerdings die katholische Kirche nicht teilnimmt. Nach außen scheinen die Katholiken mit der ökumenischen Arbeit weniger Probleme zu haben als die Protestanten. Der Grund dafür ist die Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils über die Ökumene und die hierarchische Eigenschaft der katholischen Kirche. Unter den Katholiken ist die Meinung verbreitet, dass die Protestanten auch Christen sind, obwohl ihre apostolische Sukzession unvollständig ist und die Eucharistie fehlt. Außerdem ist das Interesse der Katholiken gering ausgeprägt, Entscheidungen der Kirchenleitung zu widersprechen. Bei den Protestanten dagegen ist der Widerstand gegenüber der ökumenischen Bewegung deutlich zu spüren. Mehr als 2/3 der Protestanten in Korea sind Presbyterianer, die der reformierten Tradition von Calvin folgen und stark durch die dialektische Theologie Karl Barths geprägt sind. Dieser sah jedoch einige katholische Positionen ausgesprochen kritisch. Schon 1959 entzweiten sich die koreanischen Presbyterianer über dem innerkirchlichen Streit, ob sie Mitglied des Ökumenischen Rats werden sollten. Mehr als Hälfte der Protestanten in Korea stehen der Idee von Ökumene indifferent bis feindselig gegenüber.
Der Nationalrat der Kirchen in Korea ist nicht die einzige Organisation aller Kirchen, sondern nur eine von mehreren Dachorganisationen. Er entstand als ein Zusammenschluss der Kirchen, die sich zur Ökumene bekennen. Folgende Kirchen sind gegenwärtig Mitglied im Rat (in Klammern die von der jeweiligen Kirche selbst genannte Zahl ihrer Gläubigen): Presbyterianische Kirche in Korea (TongHap; 2,5 Mio.), Methodistische Kirche (1,5 Mio.), Full Gospel Church (Pfingstbewegung; 1 Mio.), Presbyterianische Kirche in der Republik Korea (300.000), Heilsarmee (140.000), Korean Evangelical Church (ohne Angabe), Anglikanische Kirche (50.000), Orthodoxe Kirche (7.000) und Lutherisch-evangelische Kirche (4.000). Allerdings ist das jeweilige ökumenische Engagement trotz dem gemeinsamen Bekenntnis der Kirchen zur Ökumene sehr unterschiedlich ausgeprägt.
Aus alledem folgt auch, dass die koreanischen Bemühungen um die Ökumene vielfältigen Schwierigkeiten begegnen. Obwohl schon 1977 die Bibel vollständig von katholischen und protestantischen Bibelwissenschaftlern in jahrelanger gemeinsamer Arbeit ins Koreanische übersetzt und publiziert wurde, wurde sie zunächst nur von Katholiken und Anglikanern angenommen und in der Liturgie verwendet. Seit 2005 jedoch verwendet auch die katholische Kirche nicht mehr die gemeinsame Übersetzung, sondern erarbeitet eine neue eigenständige Bibelübersetzung. Es ist sehr zu bedauern, dass damit eine gemeinsame Bibelübersetzung der Vergangenheit angehört. Auch ein ökumenisches Lehrbuch aus Deutschland, Feiner-Vischer (Hg.), Neues Glaubensbuch, Der gemeinsame christliche Glaube, Herder 1973, wurde 1977 gemeinsam von koreanischen Theologen beider Seiten übersetzt, allerdings blieb Resonanz darauf bis heute verhalten. Während die katholische Kirche aufgrund eines langen ökumenischen Lernprozesses kürzlich zu dem Schluss kam, die Taufe der anderen Kirchen allgemein als gültig anzuerkennen und die ausnahmslose Wiedertaufe im Fall des Übertritts offiziell abzuschaffen, wird die Gültigkeit der in der katholischen Kirche vollzogenen Taufe in etlichen protestantischen Kirchen seit neuestem in Zweifel gezogen. Das war eine der reaktionären Maßnahmen gegen die Gründung der Commission on Faith and Order of Korean Churches. Im Hintergrund steht die Angst einiger Kirchen, durch den Einfluss der ökumenischen Bewegung die konfessionelle Identität ihrer Mitglieder abgeschwächt zu sehen. Nach Einschätzung des Verfassers scheint vor allem die Leitungsebene einiger koreanischen Kirchen die Ökumene voranzutreiben und theologisch zu unterfüttern, während eine breite Akzeptanz im kirchlichen Alltag noch ebenso aussteht wie eine breiteres Wissen um die Chancen der Ökumene für das Kirchenleben.
3. Ausblick auf die Zukunft
Seit 2010 ist ein neues Phänomen in den koreanischen Kirchen zu beobachten: Bei allen Konfessionen stagnieren die Mitgliederzahlen, obwohl sich alle christlichen Kirchen nach wie vor unermüdlich um neue Mitglieder bemühen. Diese Entwicklung ist gleichzeitig ein Anzeichen für einen gesellschaftlichen Wandel. Ein Wachstumsverständnis, das Erfolg nur in einem Sieg über Konkurrenten sieht, wird zugunsten einer eher pluralistisch geprägten Betrachtungsweise aufgegeben. Es geht heute eher darum, Raum für ein harmonisches Miteinander zu schaffen, wobei jedes Individuum seine spezifische Identität behält, aber gleichzeitig tragfähige Strukturen für eine rege Kommunikation zwischen gesellschaftlichen Gruppen aufgebaut werden. Diese Veränderungen geben auch der Ökumene in Korea eine neue Chance. So bleibt zu hoffen, dass konfessionelle Ressentiments in Zukunft abnehmen und sich die Perspektiven für eine ökumenische Zusammenarbeit zukünftig weiter verbessern.
Für die Ökumene bedeutet dies konkret, dass vorrangiges Ziel ein verbessertes gegenseitiges Verständnis sein muss. Es ist nicht darum getan, religiöse Überzeugungen und dogmatische Positionen anderer Konfessionen zu widerlegen, sondern Missverständnisse abzubauen und gleichzeitig den eigenen Horizont durch gemeinsames Lernen zu erweitern. Auf diese Weise können konfessionelle Unterschiede von einem Konfliktpotential zu einer Chance gegenseitiger Bereicherung werden. Dabei ist insbesondere zu sehen, dass konfessionelle Spannungen weniger ihren Ursprung in Korea haben, als dass sie vielmehr wie dargestellt aus den missionierenden Ländern importiert wurden. Nach einem Bericht aus dem Jahre 1920 betrug der Anteil der Christen an der koreanischen Bevölkerung weniger als 2 %. Das heißt, letztlich haben die Christen in Korea eine gemeinsame religionsgeschichtliche Grundlage, die nicht von einer bestimmten christlichen Konfession geprägt ist. Die konfessionellen Unterschiede haben bis jetzt die Koreaner daran gehindert, ihre gemeinsame spezifisch koreanische Religiosität zu entdecken. Die ökumenische Zusammenarbeit soll zukünftig unter anderem dazu beitragen, ebendies zu fördern und dadurch auch das weltweite Christentum insgesamt zu bereichern. Vor allem an die Christen richtet sich auch die Erwartung, zum Frieden auf der koreanischen Halbinsel und zum Fortschritt in Umweltfragen beizutragen. Ohne ökumenische Zusammenarbeit werden sie diesen Beitrag sicher nicht leisten können.
Rev. Dr. Jeonghun Michael Shin is secretaris van de Commissie voor Oecumene en Interreligieuze Dialoog van de RK Bisschoppenconferentie in Zuid-Korea.
foto 1 Linksboven Jeonghun Michael Shin.
foto 2 Tweejaarlijkse ontmoeting van katholieke en protestantse theologen.
foto 3 Jaarlijkse ontmoeting van katholieke en protestantse seminaristen.
foto 4 Bezoek aan de Pauselijke Raad voor de Eenheid in Rome
foto 5 Oecumenische pelgrimage naar het H. Land
Zie ook het artikel van Jeonghun Michael Shin over de Reformatieherdenking in Korea in het tijdschrift Perspectief: Die Reformation von Martin Luther und die Protestantischen Kirchen in Korea